Wir sind die Roboter

von Angela Stief

 

„Wir sind die Roboter. Ja tvoi Rabotnik“ sangen Kraftwerk mit Computer verzerrter Stimme „Wir laden unsere Batterie. Jetzt sind wir voller Energie“ ließen sie begleitet von den Rhythmen der Synthesizer Ende der 1970er-Jahre enthusiastisch verlauten. Auf der Bühne zuckten ihre ungelenken Körper im Stakkato der Musik. „Wir funktionieren automatik. Jetzt wollen wir tanzen mechanik“ setzten sie fort, und sympathisierten mit der Verschmelzung von Mensch und Maschine. Damit stellten sie bereits vor einigen Jahrzehnten einen Lifestyle demonstrativ zur Schau, der sich durch technische Innovationen drastisch verändert hatte, und setzten den Wunsch nach Entsubjektivierung und Entkörperlichung des eigenen Daseins spektakulär in Szene. Heute jedoch, hat die Gegenwart die Zukunftsmusik der Vergangenheit längst eingeholt. Wir sind bereits zu Cyborgs mutiert – Implantate und kommunikationstechnologische Geräte wie Smartphones, die wie unverzichtbare Körperextensionen funktionieren, sind zur Normalität geworden. Die Automatisierung ist im Alltag angekommen.

„Wir sind die Roboter“ hat Katrin Kampmann ihre aktuelle Bildserie in Anlehnung an den Song von Kraftwerk genannt. Sie macht bunte, sinnliche Arbeiten, die sich von der Schwarz-Weiß-Malerei, die mit der Digitalisierung und den technischen Errungenschaften der letzen Jahre verbunden ist, deutlich absetzen, da sie die aufgeregten Wortmeldungen, die Unkenrufe und Loblieder der medialen Berichterstattung in einem harmonischen Meer aus Farben und Formen, die verrinnen und ineinander übergehen, auflösen. Die Künstlerin schüttet Acrylfarbe auf Leinwand und Papier, die auf dem Boden liegen, und lenkt die nassen Farbströme in Bahnen und Linien. Es ist ein Spiel von Zufall und Kontrolle. Übergänge von abstrakten und figurativen Teilbereichen, harte Konturen und eindeutige Motive lässt sie verschwimmen. Aus Flecken und abstrakten Farbinseln entwickelt sie ihre Bildsujets. Farbverläufe und gedruckte Partien, die auf Linolschnitten basieren und in unterschiedlichen Farben ausgeführt sind, bilden eine netzartige Struktur, die die Bilder überspannt und alles mit allem verbindet. Dieses künstlerische Experiment mit den Motiven einer Welt, die immer virtueller wird, gibt den abstrakten Algorithmen eine Form und relativiert die bereits verhärteten Fronten der Für- und Widersprecher einer Ideologie der neuen Künstlichkeit. Doch sind diese Bilder mehr als ein souveränes Echo auf eine überhitzte Debatte, die typisch für das Aufkommen von neuen Medien ist. Diese Arbeit, die die Künstlerin einmal als den Versuch eines Realitätsabgleichs beschrieben hat, stellt viele brennende Fragen, und überprüft auch, was heute überhaupt noch authentisch sein kann. Die Bilder sind außerdem in einem, man könnte sagen, archaischen Medium ausgeführt, das seit der Höhlenmalerei vielen Moden und unzähligen Abgesängen zum Trotz standhielt. Es bildet das Fundament für ein Werk, das dem visuellen Overkill der digitalen Bildproduktion, die zu der gegenwärtigen Bilderflut geführt hat, widersteht. So stellt Kampmanns Malerei vor allem auch ein Reservoir der Sinnlichkeit und der Schönheit des Analogen dar.

Die Künstlerin, die in Berlin lebt und arbeitet, reflektiert nicht nur aktuelle Entwicklungen in Kunst und Wissenschaft, sondern beschäftigt sich seit einigen Jahren auch mit den paradoxen Zeitstrukturen, die sich in die popkulturellen Bilder von der Zukunft eingeschrieben haben. Man könnte dies auch unter das Motto „Zurück in die Zukunft“ stellen. Seit 2013 arbeitet sie mit einem neuen Menschenbild, dessen ästhetische Fassungen sie aus der Weiterverarbeitung von kulturgeschichtlichen Utopien und den Versatzstücken einer besseren Welt gewinnt. Zunächst hat sie Fotografien von projizierten Science-Fiction-Filmen, die sie mit einer Lochbildkamera aufgenommen hatte, mit Aquarellen kombiniert und ausgestellt. Im Mittelpunkt stand sowohl die technische als auch inhaltliche Betonung des fehlerhaften Moments, der jeder Vision und jeder Reise durch die Zeit innewohnt, und der, wenn er verdrängt wird, eben genau jene angstvollen Gebilde und erschreckenden Dystopien einer ungewissen Zukunft hervorbringt, die sich in den Narrativen der Science- Fiction-Industry immer wieder auf dramatische Weise abgebildet haben.

Kampmann hat die futuristischen Details und die morphologische Ausstattung ihrer kybernetischen, lebensgroßen Organismen von 2018 häufig Filmen entnommen: Sensoren, die an Köpfen angebracht sind und an Antennen erinnern, Scherenhände, Oberkörper, die sich um die eigene Achse drehen, eine Mehrzahl an Gliedmaßen als dem Homo sapiens normalerweise zur Verfügung stehen, und spacige Rollschuhe erweitern die kognitive Wahrnehmungsfähigkeit und den Bewegungsapparat dieser Figuren im Unterschied zu ihren technisch nicht-getunten Vorläufern um ein vielfaches. Sie lassen an Filme wie Terminator, die Maschine-Maria aus Fritz Langs Metropolis und Blade Runner denken. Die Gestalten, die in Aquarell ausgeführt sind, weisen Strukturen auf, die wie Adern die Körper durchziehen und die wie die Nähte eines Frankenstein’schen Monsters aussehen. Einer dieser ästhetischen Hybride der Superlative changiert zwischen Schimpanse, Mensch und Maschine. Der Nachvollzug einer Evolutionslinie? Oder die Visualisierung eines gegenseitigen Angleichungsprozesses: Menschen mutieren zu Cyborgs und Roboter werden nach dem Ebenbild des Menschen geformt. Doch was passiert, wenn die Entwicklung der Automaten nicht mehr zu stoppen ist und seelenlose Apparate die Weltherrschaft übernehmen? In Literatur, Kunst und Musik wurde der Traum von der artifiziellen Überhöhung des Menschen tausendfach beschworen. Die Zukunft bleibt ungewiss: „Die ich rief, die Geister / Werd ich nun nicht los“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe 1797 im Zauberlehrling. Vielleicht leben sie, die Geister, ohnehin wie der Animismus glauben macht, sowohl in belebten als auch in unbelebten Dingen.

Die Verschmelzungsfantasien von Mensch und Maschine besaßen selten eine höhere Attraktionskraft als heute und die Wirklichkeit hat die Fiktion längst überholt: Avatare, virtuelle Alter Egos und bildmanipulierte Selfies sind zum Alltagsgut geworden. Die Erkenntnisse aus Wissenschaft und Medizin haben sich längst mittels Prothesen und biogenetischen Surrogaten in die modernen Körper, die nicht zuletzt durch schönheitschirurgische Eingriffe der willentlichen Verfügung und der menschlichen Gestaltungshoheit unterliegen, eingeschrieben. Aus dem Wunsch nach biologischer Optimierung wurde der Wahn nach Perfektion, der sich als Allianz von Natürlichkeit und Künstlichkeit bereits in drastischem Ausmaß realisiert hat. Der deutsche Gegenwartsphilosoph Stephan Lorenz Sorgner spricht von einem Transhumanismus, der eben genau nicht die Abstumpfung und Mechanisierung des Menschen durch die Verschmelzung mit der Technik bedeutet, sondern die neuen Möglichkeiten wie die Befreiung von der Arbeit und dem Frondienst durch Roboter betont und beispielsweise eine „totale Vision“, die wie Hokuspokus klingt, beschreibt: Mind Uploading, also die Auslagerung der Gehirninhalte auf digitale Trägermedien. 

Katrin Kampmann geht es jedoch weder um den uralten Wettstreit zwischen Natur und Kunst noch die Hybris der Wissenschaft, Leben zu erschaffen und die Endlichkeit des Menschen zu überwinden. Die Künstlerin verarbeitet in ihrem Oeuvre vielmehr die fantastischen Visionen, die das kollektive Unbewusste von der Brave New World ausspuckt. Sie spielt mit den Moden, die durch die Epochen zirkulieren, um den Wünschen, Ängsten und Sehnsüchten der Menschheit auf die Spuren zu kommen. So kann der Traum von einer besseren Welt nur in der ästhetischen Erfahrung in eine unmittelbare Nähe rücken, denn, Berührung findet in Bildern statt.