Eine freie Malerei

von Jürgen Schilling

Zufall, Imagination und wohlüberlegte Bildorganisation bestimmen die Gemälde Katrin Kampmanns, deren Aufbau und Komposition sich aus dem Miteinanderwirken mehrerer von ihr angelegter Farb- und Bedeutungsebenen ergeben. Dünnflüssige Tusch- und Aquarellfarbe wird auf die flach auf dem Atelierboden ausgebreitete Leinwand geschüttet, wo sie unabhängig nebeneinander stehende diffuse Pfützen oder ineinander verlaufende Flächen bilden, deren koloristische Intensität vom Vorgang des Gießens, also dem Bewegungsvorgang, der methodischen Lenkung des Materialflusses und dem Grad der Verdünnung abhängen. Einige dieser zerfließenden Lachen erscheinen demgemäß beinahe transparent, andere dicht geschlossen. An jenen Stellen, an denen zwei oder mehr Farben ineinander verlaufen und durchdringen,  gerinnen sie zu nebulösen oder schleierartigen miteinander verzahnten  Gespinsten. Areale, Rinnsale, Tropfen, Spritzer formen im Zusammenspiel rhythmische Abläufe und gestalten – wie Fred Thieler einmal in Hinblick auf seine informellen Schüttbilder sagte – aus eigenem Vermögen Malerei, bzw. hier die Raumtiefe konstruierende Kulisse der Gemälde. Um den Fond zu strukturieren ersann Katrin Kampmann eine weitere Möglichkeit: Sie ritzt kleinteilige, Gehölz, Gestrüpp, Geäst, Laub und Waldboden nachahmende Formen in eine großflächige Linoleumbahn, färbt sie ein und überträgt die in diesen Druckstock geschnittene  Darstellung auf die Leinwand. Auf andere Weise, aber mit gleichem Ziel wie beim gestischen Ausschütten der Farbe wird so eine Grundlage für die weitere Behandlung des Bildträgers geschaffen. Inspiriert durch solch beliebig gesetzte Spuren oder gezielt vorbereitende Maßnahmen setzt die Malerei mit Ölfarben an, wobei die Künstlerin, die in Berlin bei K. H.- Hödicke studierte, sich auf wenige Valeurs beschränkt, nämlich Schwarz und Weiß, die ungemischten Primärfarben und Grün in zahlreichen Varianten, die sämtlich ohne Rücksicht auf harmonische Übergänge eingesetzt werden und sich zu dynamischen Farbklängen fügen. Katrin Kampmann integriert ihre Figurationen in ein existentes abstraktes Gerüst, indem sie nach fotografischen Vorlagen gemalte schemenhafte Gestalten in ähnlich scheckiger Manier einbringt wie sie der Untergrund vorgibt. Diese Kombinationen von unkonturierten, laut leuchtenden Farbzonen und -flecken sind nachvollziehbar; allerdings bedarf es bisweilen eines zweiten Hinsehens, um die übermalten Stellen von bereits vorgegebenen zu unterscheiden. Helle, vorwiegend Gesichtern und Gliedmaßen vorbehaltene Partien überlagern und verdecken darunter liegende Abstraktionen und verschmelzen mit deren informellen Verläufen, die intuitiv übernommen werden, wenn sie in der fabulösen Schilderung Sinn ergeben. Die Bildflächen scheinen zu vibrieren; weiße Flecken suggerieren effektvoll – besonders wenn sie sich in den Klüften inmitten dunklerer Farbbereiche finden – den Einfall flutenden Lichts oder vielmehr dessen Widerschein auf Kleidungsstücken, Tierfell oder Haut. Sorgfältig ausgemalte Kleckse und Schlieren schieben sich neben solche, die der Zufall ausbildete. Farblich kontrastierende Flecken intensivieren den Eindruck einer  räumlichen Dimension, einer Tiefenempfindung, weil sie optisch über dem diffusen Grund früherer Farblagen zu schweben scheinen. Deutlich heben sich diese klaren Silhouetten als  korrespondierende Farbzonen ab. Die Figuren, welche in Katrin Kampmanns bewegten und ineinander geschobenen Szenerien auftauchen, agieren eingebunden in Waldgebiete und Grünzonen und sind mit nichts befasst als mit sich selbst, sei es beim Picknick oder dem Spaziergang mit dem Hund, beim Tanz oder allein, sinnend oder in angeregter Zwiesprache mit einem Tier begriffen,

 

wobei Katze, Affe, Hund und Vögel kaum als Attribute im ikonografischen oder mythologischen Sinne deutbar sind. Meist scheinen sich ihre im Malduktus verunklarten Gestalten als folgerichtige Formen aus der abstrakten Schicht zu entwickeln. Anders freilich verhält es sich, wenn Papageien ins Bild fliegen. Hier wie bei den Fliegenpilz-Bildern, wo Katrin Kampmann die dripping-artige Technik des Spritzens aufgreift, um sich wild gebärende weiße Punkte auf den roten Pilzköpfen zu platzieren, werden die Körper von Tieren und Pflanzen zum Raum für impressionistische Einwürfe. Die Malerin ist nicht die erste, die den bunt gefiederten Papagei als attraktives Modell entdeckt, das sich Aufmerksamkeit heischend in komplexe Konstellationen schiebt. Künstler wie Max Slevogt, Max Liebermann, die sich unter dem Einfluss der französischen Moderne vom Naturalismus lösten und zu einer atmosphärisch bewegten, leuchtenden und reinen Malerei fanden, setzten Bild-Akzente mit ihren Darstellungen von Papageien und Kakadus; die unverwechselbare Form des Papageis, sein eindrucksvoll geformter Beißschnabel, das strahlende Flimmern seiner Schwingen und des Schwanzes prädestiniert das Tier als Objekt für Maler, denen es um koloristische Effekte und Bewegungsbilder geht. Der an die diese impressionistische Bildtradition ebenso wie an mittelalterliche Paradiesdarstellungen anknüpfende August Macke – auch in seiner Kunst findet man jene kontrastierenden Flecken, die sich zur komplexen Bild-Information addieren – suchte die besondere Beziehung zwischen Mensch und Tier sinnbildlich zu deuten und einer Vorstellung von Tieren als „Epiphanien der menschlichen Einbildungskraft“ Ausdruck zu verleihen. Denn „in unserem Bewusstsein – und mehr noch Unterbewusstsein – wohnt jedes an einem anderen symbolischen und archaischen Ort.“ Eben dort möchte man Kampmanns Staffagen ansiedeln: in tropischen Regionen abseits der Zivilisation oder erträumten Wunschwelten. Wo sie auf die Ausformulierung verzichtet, sind Aufmerksamkeit und Phantasie des Betrachters gefordert, der – als Partner involviert – entsprechend seiner seelischen Gestimmtheit zu eigenen Schlüssen kommt, Leerstellen und Fragmente montiert, Verflechtungen erkennt und durch sein Seherlebnis Teil hat an der Transformation prosaischer Mal-Materie in wesenhafte Aussage. Das Auge wandert, weil es auf vielfältige formale und koloristische Sensationen stößt und sich (ver)führen lässt. Verblüfft registriert der Betrachter, wie in diesem raffinierten Farbenspiel immer neue Reize Abschnitte an Bedeutung gewinnen oder sich bestimmte, zunächst unbeachtete Partien in den Vordergrund spielen. Flüchtig fixierte, zerfließende abstrakte und figurativ-erzählerische Etappen alliieren zu einem Gewebe. Daniel Richter bemerkte in einem Interview bezogen auf eigene Bilder, es existiere letztlich kein Unterschied „zwischen der abstrakten und der figurativen Malerei außer bestimmter Formen ihrer Dekodierbarkeit. Aber die Probleme der Organisation von Farbe und Flächebleiben eigentlich immer die gleichen. In beiden Fällen ist es die gleiche Methode, die sich durch verschiedene Formen schleicht.“ Die malerische Freiheit, die sich Katrin Kampmanns zu erobern im Begriff ist, macht inhaltliche Auslegung zwar nicht überflüssig, bewirkt aber zuallererst ein unmittelbares optisches Erleben, das deren Aussage im Handumdrehen relativiert – was so cool daherkommt  könnte auch als nostalgische Reminiszenz verstanden werden. Mittels ihrer forschen und temperamentvollen Handschrift transportiert sie Aussagen in Bereiche der Imagination, dorthin, wo gängige Ausführungen unzureichend sind, weil sie Missverständnisse erzeugen oder voreiliger Deutung Vorschub leisten.  

(1) Andrea Köhler, Das Tier und wir, Neue Zürcher Zeitung, 8. Januar 2005

(2) Daniel Richter, „Letztlich gibt es keinen Unterschied zwischen der abstrakten und der figurativen Malerei“ – Ein Gespräch mit Jens Röhnau, Kunstforum International, Band 168, Januar/Februar 2004, S. 265