Malerische Innenwelten

von Florian Steininger

 

Katrin Kampmann operiert ganz selbstverständlich in ihrer Malerei zwischen den Polen der Figuration und Abstraktion. Grafisch gegenständliche Motive paaren sich mit prozessual strukturierten Spuren des Malens. Das Bild wird zum Hybrid, das sich weder als reines Fenster zur Wirklichkeit noch als autonome Konstruktion versteht. Man könnte auch von einer malerischen Collage sprechen; ein Verweben, Verfließen unterschiedlicher Teile zu einem größeren Ganzen. Erinnert sei hierbei an das revolutionäre Verfahren der Collage bei Picasso und Braque bzw. in Folge an die Konstruktionen und Assemblagen in einem Bildgefüge der Russischen Konstruktivisten oder bei Kurt Schwitters, in der Pop Art an die Combines von Robert Rauschenberg oder in malerischer Ausformulierung an die Transparences von Francis Picabia. Letzterer legte Bildebenen mit heterogenen Qualitäten des Abstrakten und Gegenständlichen aufeinander. Er gilt auch als Vorläufer der Postmoderne, die den malerischen Collagemix in ihrem Repertoire vertreten hat. David Salle, Albert Oehlen, Martin Kippenberger, Daniel Richter sind hierfür wichtige Protagonisten. Kampmann setzt diese Spielart gekonnt fort. Der kombinatorische Aspekt ist auch in der Technik festzustellen. Acrylfarbe in deckendem Auftrag wird  verbunden mit wassrig-schimmernden Zonen des Aquarells, grafische Strukturen und Formenkomplexe werden mittels Holzschnittdruck eingebracht. Das Bild changiert zwischen Flächigkeit – bedruckter Oberfläche – und Tiefenwirkung, wobei figurative Elemente wie Mensch, Tier, Pflanze oder Berge die Dreidimensionalität intensivieren.

VIBRIERENDE SZENARIEN EINER GEGENWELT

Das Bild ist in stetiger Unruhe – kein idyllischer Ausblick in die Landschaft – sondern mehr ein vibrierendes Szenario einer Gegenwelt. Grelle, psychedelische Farben abstrahieren den Realismusgehalt, sind halluzinatorische Reflexionen auf der Netzhaut. Erinnert sei in diesem Kontext an Peter Doigs oder Daniel Richters Kolorismus jenseits einer naturgetreuen Farbwahl. In beiden Positionen wie auch bei Katrin Kampmann spielt Fotografie als Bildvorlage eine zentrale Rolle, deren Sujets sie sensitiv auf die Leinwand übersetzten. Intuition und die Freiheit der Mittel sind zentral, aber keineswegs expressiv. Neue Wilde Malerei war in den 1980er-Jahren: heftige Gesten, brachiale Pinselhiebe, Pastose Farbablagerungen. Baselitz und Co. erwiesen dem Expressionismus ihre Referenz. In der Folge entwickelte sich ein neuer malerischer Realismus, der dem Malprozess Platz einräumte, ihn aber an Fotografie und Film band. Marlene Dumas, Peter Doig, Luc Tuymans sind hierbei zu erwähnen.  Anstelle gerichtete Pinselstriche mit Schwung und Kraft, delikate Schüttungen der dünnflüssigen Farbe, in deren Lacke sich Figur und Wirklichkeit widerspiegeln. So hat auch Kampmann einen Aquarell-Schwerpunkt in ihrem Werk. Ihre Bildwelten sind  Imaginationen, Realitäten des Inneren, in reine Malerei aufgelöst. So bezieht sich die Malerin hierbei zum Beispiel auf Paul Kellers Roman ‚Ferien vom Ich‘ aus dem Jahr 1915. Der Protagonist des literarischen Werks macht nach einem Herzinfarkt eine Kur am Land und befreit sich von seiner bürgerlichen Existenz, lässt los, spürt sein eigenes triebgesteuertes Ich. In der Wiener Ausstellung im Mai 2017 werden nun erstmals neu geschaffene, abstrakt-figurative und diesem Thema gewidmete Gemälde ausgestellt.