Erinnerungen an die Zukunft

von Clemens Klöckner

Die jüngsten Gemälde, Aquarelle und Fotografien von Katrin Kampmann eröffnen dem Betrachter ein weites, assoziatives Feld. War die Zukunft, mit Karl Valentin gesprochen, früher tatsächlich einmal besser? Romantischer? Erstrebenswerter? War sie uns vielleicht paradoxerweise näher als heute? Hat der reale Fortschritt der Technik unseren Zugang zu utopischen Visionen erschwert oder gar zerstört? Und können wir ihn wiedergewinnen? „Zeitreisen leicht gemacht“ – das klingt wie eine Anleitung, wie eines der im Web 2.0 omnipräsenten „Tutorials“ und widerläuft doch potenziellen Erwartungshaltungen nach konkreten Antworten und Lösungsansätzen. Die Künstlerin bietet zwar ein metaphysisch voll funktionsfähiges Raum-Zeit-Vehikel, verweigert jedoch ein werkimmanentes Navigationssystem. Wohin die Reise führt, das bleibt dem Betrachter überlassen, der sich darauf einlassen und unter Zuhilfenahme seines eigenen Erfahrungs-schatzes in die Bilder eintauchen muss. 

Katrin Kampmanns Bildwelten sind geprägt von einer flirrenden Farbigkeit, die Leinwände und Papier wie ein pulsierendes, wucherndes Netz überzieht und aus der sich nach und nach figürliche Elemente herauskristallisieren. Über-raschenderweise stößt man gleich zu Beginn der Auseinandersetzung mit ihren neuesten Arbeiten auf das genaue Gegenteil: monochrome Fotografien. Aufgenommen mit einer einfachen Lochkamera, grobkörnig und schwarzweiß, erinnern sie nur auf den ersten Blick an traditionelle Malereivorstudien mit der Camera obscura. Systematischer als in früheren Versuchen mit diesem Medium setzt Kampmann das Verfahren ein, um ihrer Meinung nach bildwürdige, aber nicht als Motiv für eine malerische Umsetzung geeignete Szenarien einzufangen. Dabei hat das fotografische Ergebnis mit verunklarter Bildbegrenzung und piktorialistischer Grobkörnigkeit durchaus eine malerische Anmutung. Von entscheidender Bedeutung für die Bildwirkung ist darüber hinaus allerdings eine motivische Eigenart: Sämtliche Ansichten sind bereits sorgfältig vorkomponiert, denn es handelt sich durchweg um fotografische Adaptionen von Found footage aus Science-Fiction-Spielfilmen.

Das spezifische Interesse der Künstlerin liegt im Bildvokabular, welches filmische Zukunfts-visionen von Raumfahrt, technischer Evolution und der Entdeckung ferner Welten seit der Frühzeit des Films bis in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt haben. Fernab computergenerierter Effektorgien spürt sie Geschichten und Menschenbildern nach, die vor der Folie des großen Unbekannten eine beispiellose, zuweilen wortwörtlich märchen-hafte Erzählfreiheit aufweisen. Innen- und Außenansichten fantastischer Raketen und Menschen vor blinkenden Schalttafeln oder 

Steuermodulen prägen die Bilder, deren zeitliche Einordnung durch den Entzug der Farbe fast unmöglich wird. Was hier hilft, sofern man die zitierten Filme nicht wiedererkennt, ist das Set-Design, welches avantgardistische Gestaltungselemente der Herstellungszeit auf die imaginierte Zukunft überträgt. Angefangen bei der Form verschiedener Raumkapseln, über Innen-raumgestaltung mit Anzeigen, Bildschirmen und Designermöbeln bis hin zur modebewussten Gestaltung des Raumanzugs zeigt sich eine Idee von Zukunft, die doch mehr über die Gegenwart der Protagonisten verrät. Das Motiv einer Katze etwa, die neben einem dekorativen Blumenstrauß in hübscher Vase auf einer Kommode lagert, gibt nur durch den Blick aus dem dahinterliegenden Fenster auf die Sterne zu erkennen, dass sich die dargestellte Szene im Weltraum abspielen soll. 

„[...] Man darf nie vergessen, dass es der Film war, der die ästhetischen Formeln der bemannten Raumfahrt erfunden hat. Die Wissenschaft lieferte nur die Maschinen.“[1] Über die Fotografie nähert sich Katrin Kampmann diesen ästhetischen Formeln, die der Filmhistoriker Andreas Kilb für Fritz Langs Gestaltung zum Film „Frau im Mond“ (1929) konstatiert. An dieser Stelle beginnt jedoch erst der eigentliche künstlerische Prozess, der unter der Oberfläche tiefere Schichten freilegt und die Filmerzählungen als das weiterspinnt, was sie sind: Projektionsflächen für Ideen, Vorstellungen und Sehnsüchte des Betrachters, losgelöst von der Erdgebundenheit der Alltagsrealität. Es ist zwar möglich, Kampmanns auratische Porträts, die von Protagonisten der Filme entstehen, auf ihre Ursprungsbilder zurückzuführen und ihnen damit eine Bedeutung zuzuweisen. Dies ist aber weder nötig noch intendiert. Es handelt sich bei diesen Aquarellen, ebenso wie bei den großformatigen Gemälden, weniger um Bilder von etwas, sondern vielmehr um Stellvertreter für etwas außerhalb ihrer selbst. Wie in den Tintenklecksbildern eines Rorschachtests erlangen die Farben ein Eigenleben, das die Lesart der Bilder beim Betrachter individuell beeinflusst. Ein Kampf vor dem Hintergrund eines Mondgebirges kann zum Tanz, zur körperlichen Verschmelzung oder zum Kuss werden. Die Gesichts- und Körperkonturen eines Mannes im Eames-Lounge-Chair lösen sich auf – eine gewollte Entmaterialisierung, verschwimmende Erinnerung oder letztlich sogar der Hinweis auf eine nichthumane Lebensform? Bei aller inhaltlicher Ausrichtung und Aufladung bleiben Katrin Kampmanns Bildfindungen primär immer eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Mediums Malerei und eine Einladung an den Betrachter, sich dieser auszuliefern.

 

 

[1] Andreas Kilb: Aus der romantischen Frühzeit der Raketen, in: FAZ Feuilleton, 07.02.2010 (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/momente-des-deutschen-films-i-aus-der-romantischen-fruehzeit-der-raketen-1941375.html, Stand 15.11.2013).