Emotion & Logik der Bildsprache

von Christoph Tannert

 

Totalitaristische Radikalität hat nach wie vor Konjunktur in der jungen Generation. Schon vor 100 Jahren schien die Richtung klar bestimmt. Ein Utopiekritiker wie E. M. Cioran z.B. ließ verlauten: „Wer sich zwischen zwanzig und dreißig nicht dem Fanatismus, der Raserei und der Narrheit verschreibt, ist ein Dummkopf. Liberal ist man nur aus Ermattung. Demokrat aus Vernunft.“ (1)

Überraschenderweise flammt seit einiger Zeit aber auch erneut ein Interesse an der Tradition im Sinn der Bestätigung des Überkommenen auf. Dieses Interesse stellt sich vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Frage, was ein Bild sein kann und vermag sich deshalb kaum noch mit den überkommenen Riten, z.B. etwa denen der „Wildheit“ der 1980er Jahre zu identifizieren, sondern sucht auf anderen Wegen eigene Antworten.

Auf in den Kampf denkt der junge Mensch. Nicht so Katrin Kampmann. Sie reizt die Vertiefung in die Vergangenheit, die Rückversicherung als Fortsetzung. Ihr Projekt „Flamme bin ich sicherlich“ (2) beginnt mit einer Verbeugung vor Friedrich Nietzsche, den sie mit ihrem Titel zitiert.

Kampmann schätzt an Nietzsche besonders, dass er das Philosophieren als höchst subjektive Form ansieht, um seinen inneren Stimmungen Ausdruck zu verleihen. Auf dieser Basis entfaltet er das Verhältnis von Philosophie und Kunst neu. Philosophieren wird zur Kunst. Was bei Nietzsche konsequenterweise den Einsatz avancierter künstlerischer Mittel, etwa des Aphorismus oder des Fragments und die Orientierung auf eine lyrischen Sprache bedingt. Den Einsatz der Mittel der Kunst sieht Nietzsche als höchste Form des Schaffens an.

BRENNEN FÜR DAS SUBJEKTIVE

Katrin Kampmann brennt für das Subjektive und Emotionsreiche, für eine Wiederverzauberung der Welt. Sie hat Nietzsche porträtiert und fühlt sich entflammt von den Ideen unserer Vorgängergenerationen. Da ist es nur folge-richtig, dass im Rahmen des Projekts Köpfe von Künstlern der expressionistischen Dresdner „Brücke“, z.B. von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein auftauchen. Radikale Subjektivität passt gut in Zeiten der Verunsicherung. Andere Künstler, die ihren Sehnsüchten viel Raum gaben (und die von Katrin Kampmann ebenfalls porträtiert werden) sind Vincent van Gogh, Paul Gaugin, Edvard Munch und die sprachstarken Dichter Walt Whitman und Georg Heym.

Zehn Bildnisse und vier abstrakte Kompositionen, allesamt als Aquarelle auf Büttenpapier erarbeitet und 2015 entstanden, bilden den Grundstock für ein Nachsinnen über die Möglichkeiten, Aufbruch zu wagen und doch ganz bei sich selbst zu sein.

Spannend ist der Kontrast zwischen den fotografisch angeregten Porträts und dem freien Fluss der Farbe in den Kristallkompositionen. So wie die Künstlerin Dinge findet, so erfindet sie simultan neue Elemente aus der Logik der Bildsprache.

Kampmanns höchste Aufmerksamkeit gilt dem Augenblick, der die Zeichen des Wandels gebiert. Im Freien, auf der blanken Erde und bei Minustemperaturen hat sie im Berliner Mauerpark im Stadtteil Prenzlauer Berg gemalt. Das hatte zur Folge, dass das Wetter die Bildgestaltung beeinflusste. Die auf dem Papier zu entdeckenden Eisstrukturen sind die sichtbaren Ereignisfolgen eines Verdrängungsvorgangs, in dem die Kristallgitter gegen die Pigmente stehen. Je nachdem, wie kalt es ist, entstehen unterschiedliche Gitter. Jedes Bild, jedes farbige Blatt markiert ein Zeichen des Wandels. Der Frost wird zum Zeichner. Natur und Zufälle nehmen Einfluss auf die Kunst. Was entsteht, ist nicht vorhersehbar. Katrin Kampmann arbeitet an poetischen Bildern, die gleichzeitig materiegebundenes Abbild der Realität sind.

Die Künstler, denen ihre Hommage gilt, haben ihre Existenz in ihrem So-Sein zwischen Aktivismus und Aufgeriebenwerden selbst aufgebraucht, wie die Flamme der Kerze, die sich selbst verzehrt und unser Sein im Wandel anschaulich begleitet. Kampmanns Porträts ehren Menschen mit Visionen, die meinten, es lohne sich, die Welt zu verändern.

In der Beschränkung des Horizonts auf das Nächstliegende hat die Künstlerin in einem Berliner Stadtpark, der insbesondere vielen jungen Menschen als Ort der Rekreation gilt und in dessen Umfeld sich zugleich die urbanen Verwerfungen der Gentrifikation vollziehen, Kunstwerke geschaffen, die das Ideal und die Notwendigkeit von Veränderung preisen und die während ihres künstlerischen Herstellungsprozesses selbst außerkünstlerische Impulse des Wandels integrierten, aber ebenso immer verdeutlichen, dass jeglicher Wandel aus wahrer Empfindung folgen muss, also aus einer Intelligenz des Gefühls.

Katrin Kampmanns Bildauffassung folgt einem Glauben an das Poetische und Außergewöhnliche, das Unerreichbare. Sie signalisiert ein Bedürfnis nach einer Erklärung durch das Unerklärliche in dem Bewusstsein, dass es etwas Höheres gibt, das rational nicht zu fassen ist. Ihre künstlerischen Vorstellungen sind ausgerichtet auf das Erforschen und Einsenken in die Tiefenstruktur unserer Psyche, unseres kulturellen Daseins. Gestik, Leichtigkeit und Ausdruck werden damit Teil einer malerischen Erdungsphase. Alles zielt hin auf Homogenität, auf ein Gleichmaß, trotz der abstrakten Flashs und der Selbstbewegungen des Materials.

Das hat Qualität, weil die Herstellung dieser Wohltemperiertheit Konzentration und stringentes Agieren zur Voraussetzung hat.

Anmerkungen:

(1) Emile Michel Cioran, Apologie der Barbarei. Frühe Schriften 1932-1941, hg. von Martin Bertleff, Wien/Leipzig, 2016

(2)     Ecce homo

         Ja! Ich weiß, woher ich stamme!

         Ungesättigt gleich der Flamme

         Glühe und verzehr’ ich mich.

         Licht wird alles, was ich fasse,

         Kohle alles, was ich lasse:

         Flamme bin ich sicherlich.

(Aus: Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (1882/erweitert 1887), in:

Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, München, 1954, Band 2, S. 32)